Think positive!

„Du musst positiv denken!“ – Diesen Ratschlag hört man oft, wenn man einen schlechten Tag hat und wahrscheinlich noch häufiger, wenn man sich über seinen Diabetes aufregt. Seien wir ehrlich, schlechte Tage hat jeder. Aber es gibt Diabetikerinnen und Diabetiker, die einfach besser mit ihrer chronischen Stoffwechselstörung klarkommen als andere; Menschen, die eine andere, eine positive Grundhaltung haben. Und ich muss zugeben, ich gehöre zu diesen positiv denkenden Menschen. In den sozialen Medien betone ich immer meine Einstellung zu Diabetes und dass er zu mir gehört. Auch auf meinem Blog habe ich im Rahmen der DiabetesBlogWoche 2018 dazu einen Artikel verfasst, den ihr hier lesen könnt. Das Thema „Think positive!“ ist aber durch ein aktuelles Ereignis nochmals aufgeflammt.

Forschung bringt Zukunft

Das Helmholtz Zentrum München, das Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt mit einem Schwerpunkt auf die Erforschung des Typ 1 Diabetes, hat im Januar 2019 zusammen mit A World without 1 eine Kampagne, die in der Bevölkerung Bewusstsein schaffen, Präventionsarbeit leisten und zur Teilnahme an den wichtigen Studien zur Früherkennung animieren soll. Ja, das ist wichtig und es wurde auch Zeit, dass es mal ein mediales Projekt gibt, dass alleinig den Typ 1 Diabetes fokussiert. Das Helmholtz Zentrum München leistet wichtige Forschungsarbeit, die ich seit Jahren verfolge. Erst kürzlich habe ich in einem Artikel für die BloodSugarLounge auch über Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler, die wissenschaftliche Leiterin der dortigen Typ1-Studien, geschrieben (nachzulesen hier). Das Forscherteam hat bereits großartiges geleistet, leistet es weiterhin und wird auch zukünftig wichtige Forschungserkenntnisse erzielen, die vor allem Kindern mit Risikofaktoren bzw. genetische Präpositionen für Typ 1 Diabetes helfen werden (eine Studienübersicht findet ihr hier).

(Foto: KMT)

#pos1typ statt #sche1sstyp

Die gerade erwähnte Kampagne des Helmhotz Zentrums München entspricht jedoch teilweise nicht dem Niveau einer solchen Forschungseinrichtung. Seit kurzem sind in vielen deutschen Großstädten 1.500 Plakate mit dem Schriftzug #sche1sstyp zu finden. In der Diabetes-Community brach ein Shitstorm gegen diese Werbekampagne aus. Forschungsabsichten oder auch die anderen Teile der Kampagne, die ich vollkommen in Ordnung finde, rückten absolut in den Hintergrund.

Diese kontroverse Diskussion über Kampagne und Marketing möchte ich hier nicht wiederholen, denn ich möchte lieber einen wichtigen Aspekt thematisieren, der durch diese Kampagne nochmals an Bedeutung für mich gewann: Think positive! Ich habe im Zuge des Shitstorms selbst ein Posting in den sozialen Medien verfasst und es mit #pos1typ versehen. Warum ist es so wichtig positiv zu denken und warum sollte man sich manchmal sogar dazu zwingen?

Von der Religionspsychologie zur Akzeptanz des Diabetes

Ich muss einen Schritt in meine Vergangenheit machen, um das Thema richtig auszurollen. Mein Nebenfach im Studium war Religionswissenschaft. Dort habe ich durch Zufall den Bereich der Religionspsychologie entdeckt, der mich sehr fasziniert hat. Ich habe viele Seminare zu diesem Thema belegt und Unmengen an Büchern verschlungen. Ich blieb an einem Aspekt hängen: Studien über krebskranke Menschen und der positive Einfluss von Glauben auf den Erfolg ihrer Chemotherapie. Glauben ähnelt einem positiven, aber religionsfreiem Denken sehr. Man akzeptiert die Dinge, die man nicht ändern kann, man versucht das Negative – in unserem Fall der Diabetes – als etwas zu sehen, wodurch man gestärkt wird. Und bei beiden Varianten glaubt man, dass alles irgendwie wieder gut wird. In der Psychologie nennt man dies Copingstrategien (vom Englischen to cope with – bewältigen, überwinden). So kam das Thema „Think positive!“ in mein eigenes Leben – zu einer Zeit, in der ich noch erhebliche Schwierigkeiten mit meinem Diabetes und dessen Akzeptanz hatte. Ein langer und auch beschwerlicher Weg begang für mich. Mein ganzes theoretisches Fachwissen wurde langsam umgemünzt auf mein reales Leben und ich lernte umzudenken.

(Foto: KMT)

Copen für die Akzeptanz

„Du musst positiv denken!“ – Das ist leicht gesagt, aber keiner sagt einem, wie das geht. Ich habe dafür auch kein Patentrezept. In der Psychologie gibt es verschiedene Ansätze und Hilfsmittel, die einem z.B. in einer Psychotherapie mit auf dem Weg gebracht werden. Diese werden aber individuell auf die Person zugeschnitten und das ist auch dringend erforderlich. Ich kann hier also nur eine Mischung aus meinen eigenen Erfahrungen und allgemeinerem Fachwissen geben. Es gibt verschiedene Coping- oder auch Bewältigungsstrategien, um Diagnosen, schlechte Tage oder Schicksalsschläge zu überstehen. Viele kennen die Phasen der Trauer: 1. Leugnen, 2. Wut, 3. Verhandeln, 4. Depression (nicht im Sinne der Erkrankung, sondern mehr als „betrauern“), 5. Akzeptanz. So das Ideal und gängigste Modell. Man muss einen solchen Prozess durchlaufen, um zur Akzeptanz zu gelangen. Jeder hat seine eigene Version dieses Prozesses. Ich würde z.B. Fakten niemals leugnen, dafür kann ich auf Stufe 2 sehr gut hängen bleiben und benötige meine Zeit. Diese sollte man sich auch immer nehmen, um Schicksalsschläge zu verarbeiten. Man muss jedoch darauf achten, dass man nicht für immer in einer Phase verweilt.

Den ersten Schock überwinden, nach vorne schauen

Bekommt man eine Diagnose, die das eigene Leben auf den Kopf stellt, kommt es darauf an, ob man die entsprechenden Ressourcen hat und resilient (widerstandsfähig) ist. Daher sollte meiner Meinung nach zur Erstdiagnose Diabetes ein Gespräch mit einem Psychologen erfolgen, der überprüft, ob eine Person das Werkzeug hat, um die Nachricht zu bewältigen. Oft werden die Neudiabetiker und auch die neuen Typ F’ler allein gelassen. Allein vor einem solchen Berg zu stehen hilft nicht, um diesen zu bewältigen. Manche gehen es an, andere bleiben stehen. Ich bin lange stehen geblieben, weil ich zunächst ein Teenager war und dann auch lange eine Verzweiflung anhielt, weil nichts funktionierte. Erst 2006/2007 kamen eine funktionierende Therapie und somit auch die ersten Schritte für die Bewältigung bis hin zur Akzeptanz des Diabetes in mein Leben. Für mich ein weiteres Zeichen, dass physiologische und psychologische Behandlung Hand in Hand gehen sollten.

Gute Tage, schlechte Tage

Mit der Bewältigung ist es jedoch noch nicht getan. Akzeptanz bedeutet noch lange keine positive Einstellung zum Diabetes. Think positive – das ist harte Arbeit, die nie endet. Man kann keinen Schalter umlegen und sagen, dass man ab heute eine positive Einstellung zum Diabetes hat und ihn akzeptiert. Das ist ein sehr langer Prozess, bei dem man sich manchmal auch sehr bescheuert vorkommt und frustriert ist.

Während ich diese Zeilen schreibe, dümple ich auf 250mg/dl herum, habe den dritten Katheter in 24 Stunden sitzen, aufgrund von Frust und Unachtsamkeit habe ich mir nach dem Duschen den Dexcom G6 herausgerissen und die Pumpe meldete gerade einen Verschluss, ohne dass ich einen Fehler finden konnte. Kurz: ich möchte gerade alles an die Wand schmeißen und Schokolade ist die einzige Lösung!

(Foto: pixarbay)

Der lange Weg der positiven Selbstinstruktion

Aber warum führt diese Situation nicht dazu, dass ich mit meinem Schicksal hadere und dem Diabetes gegenüber grundsätzlich negative Gefühle entwickle? Ich habe alles in meiner Macht stehende getan, um den Wert herunterzubekommen. Ich weiß, dass es immer schlechte Tage geben wird. Das gehört zum Leben dazu. Es ist ein auf und ab. Von den schlechten Tagen darf man sich die vielen guten aber nicht vermiesen lassen. Ich arbeite hier mit der positiven Selbstinstruktion. Dabei handelt es sich um eine Strategie aus der Psychologie, durch die man sich selbst im Denken beeinflusst. Man kann dies z.B. dadurch erreichen, indem man immer wieder sich positive Sätze sagt und diese verinnerlicht. Und ja, dabei komme ich mir manchmal echt seltsam vor. Aber man kann sein Gehirn so sehr gut austricksen und mit dem guten Zeug füttern. Es macht auch einen Unterschied, ob man den Diabetes als Feind, Sau oder Monster bezeichnet. Mein Diabetes gehört eben zu mir. Ich habe keinen besonderen Namen für ihn. Er ist einfach da, wie meine braunen Haare und Augen.

Diabetes, your annoying little Brother!

Diabetes kann der nervige kleine Bruder sein, den man eigentlich nicht wollte, aber die Eltern haben ihn einfach angeschleppt. Irgendwie lernt man ihn dann doch lieben und verteidigt ihn, wenn andere ihm an den Kragen wollen oder blöde Sprüche drücken. Er gehört zu einem dazu und ist Teil von einem. Irgendwie kann man sich dann doch nicht mehr vorstellen, wie das Leben ohne ihn wäre. Das mindert natürlich nicht das Gefühl, dass man den kleinen nervigen Bruder auch manchmal loswerden oder ihm den Hals umdrehen möchte.


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