Diabetische Toleranz

„Könntest Du bitte woanders Deinen Blutzucker messen?“ – Diese Frage löst bei vielen Diabetikern Wut und Empörung aus. Warum sollte ich gehen? Werde ich diskriminiert? Ich werde mich nicht wegen Dir einschränken! Toleriere meinen Diabetes! Wie? Du kennst den Unterschied zwischen Typ 1 und Typ 2 nicht?

Viele Diabetiker kennen diese Alltagssituationen und viele reagieren sehr emotional darauf. Ich mache mir seit jeher viele Gedanken über diese Reaktionen. Es ist ein sehr schwieriges und komplexes Thema, bei dem es 1000 Wahrheiten gibt. Immer wieder komme ich für mich persönlich zu demselben Schluss: Man darf Toleranz nicht nur fordern, man muss auch bereit sein selbst andere zu tolerieren. Einige meiner Gedanken zu dem Thema Toleranz wollte ich festhalten und eine andere Perspektive aufzeigen.

Warum ist es nicht schlimm, wenn ich gebeten werde woanders zu messen?

In meinem Umfeld ist mein Diabetes voll integriert. Dennoch wurde auch ich schon von Bekannten oder Fremden gebeten woanders zu messen. Finde ich das schlimm? Nein! Andere Menschen haben ihre Gründe, dass sie einen darum bitten. Aber ich muss erst einmal fragen, was der Grund für diese Bitte ist. Ich darf nicht urteilen und mich empören, wenn ich nicht genug Informationen habe. Offene Kommunikation ist hier meiner Meinung nach der Schlüssel.

Vielleicht ist es Unwissenheit, dann kann ich aufklären. Oder ist es vielleicht, weil jemand kein Blut sehen kann? Phobien sind ebenfalls ernstzunehmende Erkrankungen. Also, wer bin ich, dass ich einen anderen kranken Menschen zwinge sich meiner Krankheit und meinen Bedürfnissen zu beugen? Wenn jemand eine Blutphobie hat, muss ich doch bereit sein diesem Menschen denselben Respekt und dieselbe Toleranz entgegenzubringen, die ich sonst auch erwarte. Auf einen Menschen Rücksicht zu nehmen, schadet mir nicht. Ich akzeptiere einfach, dass andere Menschen auch Grenzen, Bedürfnisse und Wünsche haben.

Toleranz von Diabetiker zu Diabetiker in den sozialen Netzwerken

Facebook ist bekannt dafür, dass Diskussionen schnell eskalieren. Ich persönlich sehe das Problem wieder in dem Punkt, dass man Toleranz nicht nur nehmen, sondern auch geben sollte. Es gibt mehrere Lager, die sich regelmäßig online in die Haare kriegen. Ein Beispiel sind die Diabetiker, die vertreten, dass wir alles Essen dürfen und auf nichts verzichten sollten. Dagegen stehen die Diabetiker, die sich nur selten Süßes gönnen und diesen Genuss dann mit einem Posting online feiern. Beide haben Recht!

Aber anstatt die Meinung des jeweils anderen zu respektieren, entbrennen hitzige Diskussionen in den Facebook-Gruppen. Der Mensch am anderen Ende, den man nicht einmal persönlich kennt, muss überzeugt werden. Denn nur die eigene Meinung wird als richtig empfunden. Es wird dabei gerne vergessen, dass diese aber nicht für alle richtig sein muss. Jeder darf selbst entscheiden, was er isst und was es ihm bedeutet. Ich freue mich für die Menschen, die einen Genuss zelebrieren genauso wie ich mich für die freue, die disziplinierte gerade Linien auf ihren FGMs und CGMs zaubern können.

Gefährliche Intoleranz!

Gerade in den Facebook-Gruppen erlebe ich immer wieder Diskussionen, in denen gefährliche Situationen entstehen. Da wird an der Therapieeinstellung fremder Menschen herumgeschraubt und Spritzempfehlungen werden gegeben – aus der eigenen Erfahrung und Meinung heraus. Da wird jemand mit einem Problem verunsichert und kriegt Lösungen angeboten, aber nicht den Lösungsweg. Der Lösungsweg ist aber das einzig richtige, damit derjenige mit dem Problem weiß, wie er z.B. zu den für ihn oder sie richtigen BE-/KE-Faktoren kommt.

All diesen Situationen auf Facebook ist gemein, dass man sich in dieser wundervollen Community gegenseitig helfen möchte. Dabei nicht zu tolerieren, dass jeder Mensch ein Individuum ist, erscheint mir sogar unlogisch. Ebenso wird die Individualität eines jeden Diabetikers betont, aber dann glaubt man an den einzig wahren Lösungsweg und nur eine Möglichkeit einer guten Diabetestherapie. Schon alleine die Vielzahl der uns zur Verfügung stehenden Geräte zur Behandlung unseres süßen Untermieters ist der Beweis, dass es nicht den einen Weg gibt.

Verbal, nonverbal oder einfach mal die Klappe halten

Hinzu kommt, dass bei Facebook Mimik, Stimmlage und andere Zeichen der nonverbalen Kommunikation fehlen. Der Satz „Oh, da hast Du aber einen hohen Blutzuckerwert!“ kann besorgt gesagt werden, er kann vorwurfsoll unterlegt sein, es kann eine erstaunte Feststellung sein. In einem Gespräch würden wir das an der Stimmlage erkennen. In der schriftlichen Kommunikation ist es unsere eigene Interpretation. Schnell kann man sich Angegriffen fühlen. Dabei ist doch erst einmal davon auszugehen, dass einem niemand etwas Böses will, denn wir haben eben diese hilfsbereite Community. Das sollte man meiner Meinung nach immer im Hinterkopf behalten, so dass Situationen nicht sofort eskalieren.

Das Allheilmittel für Intoleranz ist schlicht und einfach die Klappe zu halten. Das bedeutet nicht, dass man sich Mundtot machen lässt oder sich unterwirft. Ganz im Gegenteil. Wenn man merkt, dass der Gesprächspartner nicht zur Toleranz anderer Meinungen neigt, machen Diskussionen keinen Sinn. Dann kann man es einfach lassen und sich entspannt zurücklehnen. Das erspart mir glaube ich eine Menge Ärger und graue Haare.

Ein Zitat zum Schluss!

Und schlussendlich bleibt nach der Zusammenfassung meiner persönlichen Gedanken nur noch ein Zitat unbekannten Urhebers: „Das Paradox der gepredigten Toleranz ist die Intoleranz gegenüber der Intoleranz!“


2 responses

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  1. Hallo Kathy,

    Intoleranz ist ein großes Thema – wenn man im Vorfeld weiß, womit man zu tun bekommt, kann man sich auch entsprechend einrichten… Wie du von mir bereits via Twitter mitbekommen hast, rückt mein Umfeld teilweise sehr zögerlich mit der Wahrheit heraus.

    Grundsätzlich denke ich als Betroffener, sollte man zwar offen mit seiner Krankheit umgehen (rein des Eigenschutzes wegen), aber den anderen das Thema Aufdrängen, indem man immer und immer wieder die Krankheit thematisiert, sollte man nicht. Wenn man gefragt wird, ok, dann kurzer Erfahrungsbericht, aber dann ist auch schon gut.

    Es kommt nicht immer gut an in der Welt der Gesunden, wenn man demonstrativ immer wieder zeigt, dass man ein Handycap hat.

    LG
    Kim, @DG9VH

    1. Hey Kim,

      Danke für Deinen Kommentar. Du sprichst da viele Asoekte an. Es ist nun mal ein wirklich koplexes Thema und die eine Wahrheit gibt es sowieso nicht.

      Ich persönlich sehe den Diabetes gar nicht als Handicap. Klar, ohne wäre schöner, aber ich habe für mich das Beste daraus gemacht, verdiene damit sogar Geld und habe unendlich tolle Freunde durch den Diabetes kennengelernt. Ganz nach dem Motto: Wenn das Leben Dir Zitronen gibt, dann frag nach Salz und Tequila 😉